2013 | © Andrea Neugebauer
© Andrea Neugebauer

Warum Bergrettung uns alle angeht

INTERNATIONALER TAG DER BERGE 2024

 

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Ressort Naturschutz

Am 11. Dezember stehen die Gebirge dieser Welt im Fokus. Der internationale Tag der Berge soll den Blick auf die Bergwelt mit all ihrer Schönheit, aber auch mit all ihren Problemen und Gefahren lenken. Berge stellen für uns Menschen einen einzigartigen Erfahrungsraum dar. Doch er ist keine Selbstverständlichkeit und sieht sich gerade in jüngerer Zeit zunehmend einer fatalen Bedrohung ausgesetzt – dem Klimawandel. Der Begriff „Bergrettung“ bekommt eine neue Bedeutung. Wir alle tragen Verantwortung für die Rettung der Berge.

Wer auf einer Tour schon einmal in Bergnot geraten ist, hat die Hilflosigkeit erfahren, die von den Naturgewalten des Hochgebirges ausgehen kann, wenn die eigene Kraft, das Material ihnen nichts mehr entgegenzusetzen hat, man sich ohne Unterstützung nicht mehr aus einer lebensbedrohlichen Situation befreien kann. In den bayerischen Bergen ist dann die Bergwacht, im österreichischen Alpenraum die Bergrettung zur Stelle, um Leben zu retten – professionell, kompetent … und ehrenamtlich. Das Risiko, in Bergnot zu geraten, ist in den letzten Jahren größer geworden. Und das aus unterschiedlichen Gründen. So haben die Corona-Jahre viele Menschen mit wenig alpiner Erfahrung ins Gebirge gebracht, die aufgrund mangelnder Erfahrung, Kompetenz, Materialbeherrschung und Risikoeinschätzung in Notsituationen gerieten. Aber selbst erfahrenen und gut ausgebildeten Bergsteiger*innen stellen die durch den Klimawandel ausgelösten Geländeveränderungen immer öfter vor Probleme, die mit all ihrer Kompetenz nicht mehr eigenständig lösen können. Steinschlag, Lawinen, Rutschungen und Abgänge ganzer Formationen lassen sich kaum noch zuverlässig einschätzen und sind somit nicht mehr beherrschbar.

Der Zusammenhang ist eigentlich trivial. Mit dem Rückgang des Permafrosts verlieren Gebirge ihren Kitt, sie können so ihr enormes Gewicht immer weniger tragen. Auch das Exoskelett der Berge, der Bergwald, ist durch den Klimawandel einem enormen Druck ausgesetzt. Er ist massiv erkrankt, weil sich die Vegetation der enormen Geschwindigkeit des Klimawandels nicht schnell genug anpassen kann. Damit kann er dem Druck des Gebirges immer weniger standhalten.

Sind die Berge noch zu retten? Sind die Alpen noch zu retten? Das Hochgebirge war immer schon ein Ort starker Veränderungen, schon allein aufgrund der Naturgewalten, die hier oben herrschen. Der Klimawandel beschleunigt und vergrößert diese Veränderungen jedoch. Und wir Menschen werden uns dieser Entwicklung anpassen müssen. Wir werden Bewegungs- und Lebensraum im Gebirge im Zuge des Klimawandels verlieren und uns aus besonders betroffenen Regionen wieder zurückziehen müssen.

2018 | © Holger Klink
© Holger Klink

Für die Alpenvereine ist das eine echte Zeitenwende, die ein Umdenken erfordert. Galt es vor gut 150 Jahren, die alpine Infrastruktur an Hütten und Wegen zu schaffen und in den letzten Dekaden durch viel ehrenamtlichen Einsatz zu erhalten, müssen wir in den kommenden Jahren anfangen, Rückzugsstrategien zu entwickeln, wie wir geordnet und koordiniert Infrastruktur wieder aufgeben und der Natur zurückgeben können. Somit braucht wohl auch jede Hütte im Hochgebirge einen Rückbauplan, jede Route, jeder Weg ein kontinuierliches Monitoring, um Geländegefahren schnell erkennen und auf sie reagieren zu können.

Ist eine solche Mammutaufgabe überhaupt noch ehrenamtlich zu stemmen? Wohl nicht in der bisherigen Art und Weise. Es bedarf entsprechender Investitionen in digitale Systeme, die Informationen sammeln, auswerten und gezielt zur Verfügung stellen können, um die ehrenamtlichen Kräfte richtig einsetzen zu können. Und es müssen die Kooperationen innerhalb der Alpenvereine, aber auch mit den Behörden, den Talgemeinden und dem Tourismus konsequent weiterentwickelt und ausgebaut werden, weil die Hütten und Wege einen enormen Wirtschaftsfaktor darstellen, der mit dem klimawandelbedingten Rückgang des klassischen Wintersports in seiner Bedeutung noch größer werden wird.

Mit dem Beginn dieser Bergrettung sollten wir nicht mehr allzu lange warten. Denn sonst könnte die nächste Fluchtwelle in Europa ihren Anfang im Alpenraum nehmen, die sich Stück für Stück auf die angrenzenden europäischen Regionen ausweitet, wenn dort nach dem Abschmelzen er letzten Alpengletscher die Wasserversorgung der Bevölkerung ins Wanken gerät. Aber so weit müssen wir es ja nicht kommenlassen …

In diesem Sinne alles Gute zum internationalen Tag der Berge!